Auf dem Weg zum Lichtfest 2020 - Teil 4

„Der 9. Oktober hat nicht nur Leipzig verändert“

Impression von der Lichtfest-Vorveranstaltung am 28. September 2020
Impression von der Lichtfest-Vorveranstaltung am 28. September 2020. Foto: PUNCTUM/Stefan Hoyer

In diesem Jahr kommt das Lichtfest schon im September an verschiedene Orte zu Besuch, da pandemiebedingt am 9. Oktober selbst leider kein Lichtfest mit tausenden Besuchern gefeiert werden kann.  Die vierte und letzte dieser Veranstaltungen fand am 28.9. in Connewitz in der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete statt.

 Teil 4: Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete

Historische Bilder aus dem Herbst 89 leiteten den Abend ein, vermittelten den Zuschauern einen ersten Eindruck davon, was in Leipzig bei der Friedlichen Revolution passiert war. Wie das damals war – das konnte Bürgerrechtlerin Gisela Kallenbach im Gespräch mit Moderator Claudius Nießen natürlich besonders gut schildern. „Was war der 9. Oktober 1989 für ein Tag für Sie?“  fragte Nießen zum Auftakt Der 9. Oktober 1989 hat nicht nur Leipzig verändert. Er war eigentlich der Auftakt für die Friedliche Revolution im ganzen Land Es fanden vier Friedensgebete zeitgleich statt und die Menschen haben sich nicht mehr einschüchtern lassen. Sie sind mit viel Mut auf die Straße gegangen. Es ist kein Schuss gefallen an dem Tag, es war ein Abend der Erleichterung, aber ich fragte mich auch, wie geht’s weiter?“ so Kallenbach.

Nießen lenkte dann den Blick auf die Gegenwart: „Wenn Sie auf das Hier und Jetzt schauen, wo kann man sich, wo sollte man sich heute engagieren?“. Gisela Kallenbachs Antwort darauf ist ein klarer Appell: „Ich bin grundsätzlich froh, dass ich seit 30 Jahren in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat leben kann. Aber wenn wir genauer hinsehen: Unsere Welt ist weder friedlicher, noch tatsächlich gerechter geworden. Noch schaffen wir es bisher, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Deshalb denke ich, auch heute gibt es alle Gründe, sich für Veränderung einzusetzen.“

Choreograph Roman Windisch hatte mit sechs Tänzerinnen seiner Dance Company human moves eine Choreographie mit dem Titel „Freiheit“ speziell für diesen Abend erarbeitet. Im Vorfeld erfolgte eine intensive Auseinandersetzung sowohl mit dem Thema als auch mit dem Veranstaltungsort. Mehrere Treffen mit den Bewohnern und Mitarbeitern der Gemeinschaftsunterkunft lieferten schließlich die inhaltliche Grundlage für die abendliche Inszenierung auf dem Spielplatz vor der Unterkunft. Das Vertrauen der Menschen zu gewinnen stand bei den Begegnungen zunächst im Vordergrund, die Erfahrungen und Schilderungen der Geflüchteten in die Choreographie aufzunehmen war der zweite Schritt. So entstanden beeindruckende Bilder.

Roman Windisch über die Vorbereitungen und die Intention: „Unser größtes Interesse: Menschen zu bewegen, geistig als auch körperlich. Bei diesem wunderbaren Projekt hatten meine Amateurtänzerinnen und ich die Möglichkeit, uns mit der Geschichte der Bewohner auseinanderzusetzen. Umgeben von aufgeweckten Kinderscharen, die ohne Scheu mit den Tänzerinnen gemeinsam die Spielgräte auf eine tänzerische Art interpretierten, starteten wir in diese Arbeit an diesem site-specific Tanztheater. Auch für die Tänzerinnen war das und die künstlerische Interpretation eines Spielgerätes ein neues und aufregendes Abenteuer. Es war eine großartig herausfordernde Aufgabe, die verschiedenen Lebenswege tänzerisch zu interpretieren. Im Laufe unserer Proben auf dem Spielplatz zeigten zunehmend einzelne Bewohner größeres Interesse, so dass wir auch die Möglichkeit bekamen, über deren Leben mehr zu erfahren und dies in unsere künstlerische Arbeit mit einfließen zu lassen. Wir alle sind sehr, sehr dankbar und glücklich, dass wir diese Möglichkeit bekommen haben, nun so eine bereichernde Reise Erfahrung in vielerlei Hinsicht machen durften.“

Es tanzten Marie Eichhorn, Anne Helling, Karen Kriedemann, Anja Rodewohl, Ann Stevenson und Gina Zimmermann von human moves und mit ihnen sechs Kinder, die in der Gemeinschaftsunterkunft wohnen. Und natürlich strahlten auch hier mehrere hundert Kerzen von den Fensterbänken.

Damit endet die Reihe der Vorveranstaltungen „Auf dem Weg zum Lichtfest“.

--> Hier finden Sie Fotos der Veranstaltung!

 

Mitwirkende

Dance Company human moves

Bei human moves denkt der Tänzer mit. Er ist nicht nur ausführendes Werkzeug, sondern wird mit seinen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit integriert. So gewährleisten wir eine ehrliche, inspirative und reflektierende Wirklichkeit zu schaffen. Elemente aus dem Modern Dance sowie dem Tanztheater sind Mittel, um Ausgangspunkte zu schaffen und Geschichten zu erzählen. Das Improvisieren ist zudem für jeden Entwicklungsprozess unerlässlich. Auch das Einbeziehen von Musik und anderen Kunstdisziplinen ist für human moves ein großes Anliegen. Der Zuschauer spielt für den Erfolg eines Stückes eine mindestens ebenso tragende Rolle - er muss schlussendlich fühlen, was gesagt wird. Musik: Ólafur Arnalds - The journey ; Markus Lindner - clouds  -  arrangiert von Alex Blue vom Sunny Side Up Studio Leipzig. 

Gisela Kallenbach

geboren 1944, ist eine ostdeutsche Bürgerrechtlerin und Politikerin bei Bündnis 90/Die Grünen. 1989 gehörte sie zum Gründungsmitglied des Vereins „Ökolöwe“, einer Leipziger Umwelt- und Kirchengruppe, die am Runden Tisch vertreten war. Zuvor war sie aktives Mitglied der AG Umweltschutz beim Jugendpfarramt Leipzig und zwischen 1987 und 1989 im Konziliaren Prozess der Kirchen der DDR beteiligt. In jungen Jahren verweigerte Kallenbach die Jugendweihe, weshalb ihr das MfS den Weg zum Abitur verwehrte. Sie machte stattdessen eine Lehre als Laborantin und absolvierte ein Fernstudium. Dieser Tätigkeit ging sie bis zur Wiedervereinigung nach. Von 1990 bis 2000 war sie Referentin im Dezernat Umweltschutz der Stadt Leipzig und bis 1999 Beisitzer im Landesvorstand in Sachsen. Ihre internationalen Aktivitäten führten sie zur UN Mission im Kosovo. Anschließend vertrat sie zwischen 2004 und 2009 die Grünen im Europäischen Parlament. Heute sitzt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes im Stiftungsrat „Bürger für Leipzig" und ist Mitglied zahlreicher gemeinnütziger Vereine. Quelle: https://www.zeitzeugenbuero.de/index.php?id=detail&zzp=68

Im Herbst 89: „Nach dem massiven Polizeieinsatz am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, in mehreren Städten der DDR, drohte für den Montag dem 9. Oktober die Eskalation der staatlichen Gewalt, wenn sich wieder Menschen zur Montagsdemonstration zusammenschließen. Die öffentlichen Verlautbarungen sparten nicht Drohungen in dieser Richtung. Menschen aus verschiedenen Oppositionsgruppen verfassten daraufhin ein Flugblatt zur Gewaltlosigkeit, dass am Nachmittag des 9. Oktober in der Leipziger Innenstadt verteilt wurde. Gisela Kallenbach wird dabei von der Polizei festgehalten. Sie erzählt, wie schon in dieser Situation die Polizei vor der Geschlossenheit der Passanten kapitulierte.“ Quelle: https://www.archiv-buergerbewegung.de/themen-sammlung/zeitzeugen/44-kallenbach-gisela

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